Die Psyche der COPD-Patienten  – ein unterschätztes „Begleitphänomen“

Wir wissen heute, dass die COPD nicht mehr nur als reine Lungenerkrankung anzusehen ist. Vielmehr beeinflussen eine Reihe von Begleitproblemen außerhalb der Lunge den Krankheitsverlauf und die Lebensqualität negativ und sind somit für die Gesamtbehandlung von Bedeutung.

Neben Veränderungen am Herz-Kreislaufsystem, der Muskulatur, dem Knochenskelett sowie Stoffwechselphänomenen spielen psychische Probleme wie Depression, Angst und Panikneigung eine wenig bedachte, aber keinesfalls unbedeutende Rolle.

In früheren Untersuchungen wurde vor allem die Depression als Problem beleuchtet. Nach unserer Einschätzung  sind im Einklang mit neueren Studien aber Angst- und Paniksymptome für viele an einer COPD Erkrankte noch gravierender. Neben der leicht nachvollziehbaren Bedeutung von Angst und Panik bei Atemnot leiden viele auch unter sogenannten Progredienzängsten, d. h. es stellt sich oft die Frage: „wie geht es mit mir weiter?“. Ängste, die sich auf die Endphase des Lebens beziehen, werden als „End of Life Ängste“ bezeichnet.

Mit Blick auf den Charakter und die Bedrohlichkeit des Hauptsymptoms Atemnot ist ein sich gegenseitiges Bedingen von körperlichem (Atemeinschränkung) und psychischem (Not beim Atmen) Befinden nicht überraschend. Atemnot, Angst und Depression können sich im Verlauf einer fortschreitenden COPD im Sinne eines sich selbst unterhaltenden Teufelskreises verselbstständigen.

Körperliche Leistungslimitierung

Die körperliche Leistungslimitierung trägt im Verlauf oft zum Rückzug aus dem Alltagsleben und in der Folge zur sozialen Isolation bei, was wiederum Angst und Depression verstärken kann. Studien zeigen, dass dadurch sowohl die unmittelbare Lebensqualität aber auch die Infektanfälligkeit und die Anzahl an Krankenhausbehandlungen negativ geprägt werden.

Psychische Probleme – nicht nur ein Problem der fortgeschrittenen Stadien.

Offenbar manifestieren sich Angst und Depression bereits in den frühen Stadien der COPD und erfahren bei zunehmendem Schweregrad keine wesentliche Verstärkung.
So konnte in einer umfangreichen schwedischen Studie gezeigt werden, dass das Ausmaß von Angst im Stadium I und II mit ca. 40 % ebenso häufig war wie im Stadium III (38 %) und im Stadium IV (40 %). Das galt auch für depressive Probleme. Diese Ergebnisse konnten durch eine eigene Studie an 133 COPD-Patienten, von denen 99 im Stadium III-IV waren, bestätigt werden. Die Lebensqualität wird durch das gleichzeitige Vorhandensein von Angst und Depression ganz wesentlich negativ geprägt.

Inwieweit der weitere klinische Verlauf einer COPD-Erkrankung durch Angst und Depression geprägt ist, zeigte sich in einer großen amerikanischen Studie (NETT, National Emphysema Treatment Trial). Hier konnte bei 610 Patienten mit einer Depression eine bedeutsame Zunahme der 1- und 3-Jahres-Sterblichkeit gesehen werden. Zudem war die Frequenz der Krankenhausbehandlungen im Jahr vor Beginn der Studie deutlich höher. Nicht zu vernachlässigen ist die negative Bedeutung psychischer Probleme bei COPD im Hinblick auf die Leistungsfähigkeit. So zeigt sich bei Patienten mit Depression im Vergleich eine deutlich geringere 6-Minuten-Gehstrecke. Vielleicht fehlt bei vielen Betroffenen aber auch nur der Mut oder die Phantasie, körperlich noch etwas leisten zu können. Hier findet sich ein weiterer Teufelskreis, den es zu durchbrechen gilt.

Wann beginnt die Angst vor dem Ende?

COPD-Patienten machen sich offenbar bereits frühzeitig Gedanken zum Ende ihres Lebens und zu ihrem Sterben. Wir konnten in einer eigenen, gerade veröffentlichten Studie eine hohe Quote von Patienten mit sogenannten „End of Life“ Ängsten identifizieren. Wir haben dabei auch nach den Inhalten dieser Ängste gefragt. Dabei kamen interessante, für uns erstaunliche Themen zum Vorschein. So spielte zum einen die Frage nach der Art des Sterbens und die Sorge, den unmittelbaren Mitmenschen, der Familie zur Last zu fallen, für viele Patienten eine große Rolle. Zum anderen wurde die Angst vor dem Ersticken oder vor Schmerzen als besonders wichtig angegeben. In der Realität spielt der Schmerz aber für die Mehrheit der COPD Patienten keine wirkliche Rolle. D. h. hier übersteigt offenbar die Angst vor der Zukunft die zu erwartende Wirklichkeit.

Information kann hier weiterhelfen

Befragt man COPD-Patienten, was sie von ihren behandelnden Ärzten erwarten, so finden sich in einer amerikanischen Studie Wünsche nach Angaben zu den Behandlungsmöglichkeiten, zur eigenen Prognose und auch zur Frage, wie das eigene Sterben aussehen wird. Solche Fragen werden in Deutschland kaum einmal formuliert. Da sind uns die Amerikaner noch etwas voraus, da sie wohl schon gelernt haben, über ihre Ängste zu sprechen und auch Antworten auf ihre Fragen einzufordern.

Totgeschwiegene Probleme

Trotz der Häufigkeit psychischer Probleme werden diese im Alltag erstaunlich selten zwischen Ärzten und COPD-Patienten kommuniziert. Es finden sich Studien, bei denen kein Patient je mit den behandelnden Ärzten über seine Ängste gesprochen hat. Zudem fühlten sie sich deutlich zu wenig über ihre Erkrankung informiert.

Im Rahmen unserer  Untersuchung mit 133 Patienten zeigte sich, dass insbesondere COPD-Patienten im Stadium II ein höheres Ausmaß an „End of life“-Ängsten aufweisen. Möglicherweise erleben die Patienten schon die erste Konfrontation mit der Diagnose und die Beobachtung anderer Patienten als schockierend. Patienten in fortgeschrittenen Krankheitsstadien zeigen bei erfolgreicher Krankheitsbewältigung trotz chronischer Atemnot und stärkerem Krankheitserleben keine Zunahme der „End of Life“-Ängste.

Wie häufig sind Angst und Depression bei COPD anzutreffen?

Angaben zur Häufigkeit von Angst und Depression bei COPD-Patienten variieren ganz erheblich. So werden generalisierte Angststörungen in einer Häufigkeit von 2 bis 16 %, Panikstörungen von 8 bis 67 %, depressive Symptome und Depressionen zwischen 11 und 80 % sowie Angstsymptome in einem Bereich von 10 bis 75% angegeben. Diese jeweils sehr großen Schwankungen lassen erkennen, dass verlässliche Angaben bislang fehlen.

Werden die behandelnden Ärzte befragt, so wird nur in  6 bis 39 % von psychischen Begleitproblemen berichtet. Führt man hingegen solche Befragungen bei den Betroffenen selbst durch, dann steigt die Häufigkeit von Angst-, Panik- und Depressionssymptomen auf 32 bis 79 % an. Wer sollte es also besser wissen und beantworten können als die Patienten selbst?

Von daher haben wir die Chance genutzt, zusammen mit der im Bereich COPD und Lungenemphysem in Deutschland größten Patientenorganisation Lungenemphysem-COPD Deutschland und in Zusammenarbeit mit der Universität Marburg, die nach unserem Wissen weltweit umfangreichste Fragebogenaktion zu diesen Themen durchzuführen, um zu besseren, verlässlicheren Informationen zu kommen. Wir sind sicher, dass sich daraus in der Zukunft wichtige Hinweise für die Therapie der COPD-Patienten ergeben werden.

Zum Zeitpunkt der Erstellung dieses Berichtes (Jan. 2013) haben schon mehr als 1000 Mitglieder an der Befragung teilgenommen. Zum Symposium-Lunge, da bin ich sicher, kann ich Ihnen exklusiv erste, bis dahin noch unveröffentlichte Ergebnisse berichten.

Es gibt noch viel zu tun

Durch eine amerikanische Telefonbefragung von 1334 Patienten konnte gezeigt werden, dass bei 61 % der Befragten zwar psychische Probleme, insbesondere Angst, vorlagen, aber nur 31 % deshalb behandelt wurden. Auch in der bereits erwähnten NETT-Studie  erhielten nur 37 % der Betroffenen eine medikamentöse Therapie.

Wir wissen aber, dass erfreulicherweise bereits kleine Maßnahmen zu einer wesentlichen Abnahme von Angst und Depression führen.

Pneumologische Rehabilitation

Auch eine umfassende, pneumologische Rehabilitation über 12 Wochen kann selbst ohne psychotherapeutische oder medikamentöse Behandlung Angst und Depression reduzieren. Eine Kombination aus Rehabilitation und psychotherapeutischer Intervention führte bei COPD-Patienten zu noch besseren Ergebnissen. Ähnliches konnten wir in einer eigenen Studie mit 93 Patienten im COPD Stadium III-IV zeigen. Depression, Angst- und Panikstörungen nahmen nach umfangreicher, hochwertiger pneumologischer Rehabilitation auch ohne gezielte psychotherapeutische Maßnahmen erheblich ab.

Der wichtigste Schritt ist es darüber zu reden. Allein das Ansprechen dieser Themen bzw. das Relativieren mitunter sogar übersteigerter Zukunftsängste sowie Betreuungszusagen für die Zukunft sind für die Patienten enorm entlastend. Hier sind Patienten, Ärzte und alle an der Therapie der COPD Beteiligten gefordert.

An dieser Stelle möchte ich allen, die bislang an dieser Internet-Befragung teilgenommen und diese unglaublich große und wichtige Datenmenge erzeugt haben, sehr herzlich für ihre Mitarbeit danken. Sollten Sie bislang vielleicht noch nicht die Zeit oder den Mut gefunden haben, daran teilzunehmen, möchte ich Sie herzlich ermuntern, dies noch zu tun. Die Befragung geht weiter.

Mit den aus Ihren Antworten  gewonnenen Erkenntnissen können wir sicher gemeinsam für diese so bedeutenden Zusatzaspekte Ihrer COPD-Erkrankung die besten Antworten finden.


Dr. Klaus Kenn, Schönau am Königssee Chefarzt Schön Klinik Berchtesgadener Land, (6. Symposium Lunge in Hattingen/NRW).


Abdruck bzw. die Weiterverwertung dieses Artikels oder Teilen daraus in Print- oder Onlinemedien bedürfen der vorherigen schriftlichen Genehmigung des COPD-Deutschland e.V.